Prolog

Vor langer Zeit brach eine Welle der Trauer über Camelot. König Artus war unerwartet gestorben, ohne einen Nachfolger zu hinterlassen. Vor allem die Älteren erinnerten sich noch gut an die Kämpfe, die man vor Artus′ Auftauchen um den Thron führte. Angst breitete sich vor den Angriffen aus, die Camelot aus diesem Grund heimsuchen würden.

Deswegen wandte man sich hilfesuchend an Merlin. Der Zauberer, der schon einmal das Thronfolgeproblem gelöst hatte, musste doch auch dieses Mal wieder einen Ausweg wissen.

Dem war jedoch nicht so. „Ich kann aus dem Nichts keinen rechtmäßigen Thronfolger heraufbeschwören, das wäre schwarze Magie. Artus war der Nachfolger aus dem Geschlecht Uthers, doch da er selbst keine Erben hat, ist ein Krieg um den Thron unausweichlich.“

Doch die Bewohner von Camelot wollten nicht in den Krieg ziehen. Sie suchten nach einem Weg, um ihre Stadt vor Angriffen und Kämpfen zu schützen. Reine Manneskraft würde dazu nicht reichen, da die meisten Ritter der Tafelrunde mit Artus in den Kampf gezogen und nicht wiedergekehrt waren. Bauern, Schmiede, Schneider. Das war alles, was zur Verfügung stand, um die Stadt zu verteidigen.

„Bitte, Merlin, beschütze unsere Stadt“, baten die zu ihm gesandten Bürger den Zauberer ein weiteres Mal.

Als er die Sorge in ihren Gesichtern sah, ließ sich der Zauberer erweichen. „Es gibt eine Möglichkeit, aber sie würde ein großes Opfer von euch fordern.“

„Wir tun alles, um unsere Stadt und unsere Leben zu schützen“, versicherten sie ihm. Schließlich waren sie aus genau diesem Grund von den Bewohnern zu Merlin geschickt worden.

Merlin zog einen dicken Band aus dem Regal. „Bevor ich euch diese Möglichkeit erläutere, müsst ihr mir versprechen, dass ihr die Entscheidung gemeinsam mit den anderen Bewohnern Camelots trefft und jedem die Wahl lasst, ob er sich diesem Schicksal fügen will.“ Die Blicke der Männer trafen sich und in jedem Gesicht stand Unsicherheit geschrieben. Solch eine Forderung war zuvor noch nie über Merlins Lippen gekommen.

Deshalb nickten sie auch, wohl wissend, dass Merlin diese Worte nicht an sie richten würde, wenn es ihm nicht ernst wäre. Er kümmerte sich um die Bewohner Camelots und wollte nur das Beste für sie, ohne auf seinen eigenen Vorteil zu achten. Selbst als er sich noch nicht als Zauberer zu erkennen gegeben hatte, stand er immer hinter Artus und setzte seine Kräfte für Camelot ein.

„Es gibt einen mächtigen Zauber, mit dem man eine ganze Stadt unsichtbar machen und von der Außenwelt abspalten kann. Camelot würde von der Karte verschwinden und erst wieder aus diesem Zauber erwachen, wenn Artus wiedergeboren wird und Excalibur ein weiteres Mal aus dem Felsen befreit. Für lange Zeit erfahrt ihr nicht, was um euch herum geschieht, ihr könnt nie Kontakt zu den Menschen in den anderen Städten aufnehmen, keinen Handel treiben. Es gäbe nur noch euch und alles, was innerhalb der Stadtgrenzen von Camelot existiert. Euer Leben würde weitergehen, aber in einem stark eingeschränkten Rahmen.“

Die Männer schluckten schwer. Als sie hilfesuchend zu Merlin gekommen waren, hatten sie nicht mit einem so hohen Preis gerechnet. Auf ihren Gesichtern stand nun Angst geschrieben. „Das wäre so, als hätte Camelot nie existiert?“, hakte einer von ihnen nach, um das Unglaubliche in Worte zu fassen.

Merlin nickte. „Überlegt euch wirklich gut, ob ihr das eurer Stadt und den Bewohnern antun wollt. Ist euch die Sicherheit eurer Stadt wirklich so viel wert?“

Es war nicht verwunderlich, dass die Männer einige Zeit brauchten, um sich untereinander zu beraten und dann die anderen Bewohner miteinzubeziehen. Jetzt verstanden sie, warum Merlin das zu seiner Bedingung gemacht hatte. Die aufgezeigte Möglichkeit bereitete ihnen allen Kopfschmerzen, sodass der Zauberer die Männer erst einige Wochen später wiedersehen sollte. Sie wollten ihre Stadt nicht aufgeben, aber gleichzeitig fürchteten sie sich vor einem Leben in der Isolation. Für sie war Camelot immer groß und mächtig gewesen, aber waren die Bewohner imstande, für sich selbst zu sorgen? Konnte man überleben, bis Artus wiedergeboren wurde? Würde der große König überhaupt wiedergeboren werden? Die Alternative war der Krieg.

Die feindlichen Armeen rückten immer näher, um das sagenumwobene Schwert und den Thron Englands in die Hände zu bekommen. Von allen Seiten kreisten die Armeen die Stadt ein und den Bewohnern rann die Zeit durch die Finger wie Sand.

Viele Menschen hatten die Stadt verlassen, um zu ihren Verwandten zu ziehen und dem Schicksal zu entkommen, das wie ein Damoklesschwert über Camelot schwebte. Sie mussten sich zwischen einem Leben in Abgeschiedenheit und aussichtlosen Kämpfen mit mehreren Armeen entscheiden.

„Alle Menschen, die sich jetzt noch in Camelot aufhalten, sind mit dem Zauber einverstanden“, verkündeten die Männer, als sie sich wieder bei Merlin einfanden.

Obwohl Merlin skeptisch blieb und sich erst überzeugen wollte, dass auch wirklich alle diesen drastischen Schritt unterstützten, wurden schon bald erste Vorbereitungen getroffen. Während Merlin jeden einzelnen der wenigen verbliebenen Bürger besuchte, füllte man die Lager und richtete die Stadt für die Jahre in Abgeschiedenheit her. All das musste schnell geschehen, denn die Armeen standen schon fast vor den Toren Camelots.

Die Feinde interpretierten das als Vorbereitungen für eine Belagerung und nur die geflohenen Cameloter wussten, was auf ihre Heimat zukam. Sie konnten sich nicht entscheiden, ob sie froh darüber sein sollten, dass ihre Stadt überleben würde, oder ob sie traurig sein sollten, weil sie nie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten, sobald der Zauber gesprochen war. Sie würden die Burg und die Menschen vermissen. Nichts würde mehr wie früher sein, da ein wichtiger Teil ihres Lebens für immer fehlen würde.

Als man wegen der anrückenden Armeen nicht mehr länger warten konnte, übergab man Excalibur in die Obhut Merlins, der es beschützen und damit den wiedergeborenen Artus finden sollte.

Die Stadttore schlossen sich hinter dem Zauberer und die Zugbrücke wurde nach oben gezogen. Niemand kam mehr hinein und auch keiner mehr aus der Stadt heraus. Die Entscheidung war endgültig.

Mit bebender Stimme sprach Merlin den Zauber und entfernte sich mit jedem Wort weiter von der Stadt, bis sie zu verblassen schien. Auch Merlin fühlte den Schmerz in seinem Herzen, wenn er daran dachte, dass er die meisten seiner Freunde nicht mehr wiedersah. Aber sie waren sicher. Ein leichtes Beben erschütterte den Boden und eine Nebelwand baute sich vor dem Stadtgebiet auf. Durch den Nebel hindurch konnte man vereinzelte Blitze sehen, die sich immer mehr verdichteten, bis sie sich zu einem einzigen grellen Licht vereinten. Als der Nebel verschwand, hatten sich auch die letzten Spuren der Stadt in Luft aufgelöst. An dem Ort, an dem zuvor noch Häuser und Mauern in den Himmel ragten, befand sich nun eine Wiese. Alle Wege und Kanäle, die zur Stadt geführt hatten, waren ebenso verschwunden und es wirkte, als hätte Camelot nie existiert.

Es gab viel Gerede. Man erklärte die Soldaten für verrückt, die behaupteten, dass eine Stadt verschwunden war. Auch in der Nähe ließ sich Camelot nicht entdecken. Nachdem man einige Zeit ausgiebig nach der Stadt gesucht hatte, gab man auf und teilte das Königreich Camelot unter sich auf.

Nach und nach vergaßen die Menschen die Stadt und sie sowie ihr König wurden zu einer Legende. Nur einer wusste noch, dass Camelot und Artus wirklich existiert hatten.

Merlin versteckte Excalibur und verband es wieder mit einem Stein, sodass nur die Wiedergeburt Artus‘ es aus dem Felsen ziehen konnte. Nun galt es nur noch, ihn zu finden. Doch bis zu diesem Tage sollten noch etliche Jahre vergehen.




Kapitel 1

„Ist das alles?“ Stella wog skeptisch mein Gepäck in der Hand. Sie hatte offenbar einen Koffer erwartet und keine große Sporttasche.

„Ich denke schon“, antwortete ich. „Es ist nur ein Wochenende bei meiner Familie.“

Da mir noch etwas Zeit blieb, bis ich zum Bahnhof musste, setzte ich mich zu meiner Mitbewohnerin an den Küchentisch. „Du musst mir ganz genau erzählen, was auf Dylans Party abgeht“, forderte ich sie gespielt streng auf. „Und bitte rede mit Patrick, auch wenn ich nicht dabei bin.“

Stella presste die Lippen aufeinander. Obwohl man es bei einer Halbitalienerin anders erwarten würde, fehlte ihr eindeutig das Flirt-Gen. Wenn es um Jungs ging, wurde sie jedes Mal zu einem schüchternen Mäuschen, das keinen vernünftigen Satz herausbrachte. Erst wenn ich ein Gespräch für sie begann, konnte sie frei reden. Jemanden anzusprechen lag ihr einfach nicht. „Ich versuche es … oder vielleicht werde ich auch plötzlich krank.“

Drohend hob ich den Zeigefinger, konnte mir jedoch ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich frage Dylan am Montag – und wenn du nicht da warst, darfst du dir eine meiner berühmten Reden anhören!“

Meine Mitbewohnerin begann ebenfalls zu kichern. „Okay, okay, ich werde hingehen und mit Patrick reden. Vielleicht macht es ja auch ohne dich Spaß.“

„Du weißt, wie gern ich mitkommen würde, aber Grandma Tilly …“ Wie schon in den letzten Tagen spürte ich diesen Stich in meinem Herzen und auch das Schlucken fiel mir schwerer, wenn ich nur daran dachte, dass sie tot war.

„Jenni, ich weiß doch, wieso du nach Hause musst“, unterbrach Stella mich und legte ihre Hand tröstend auf meine. „Ich verstehe, dass du an der Beerdigung teilnehmen willst, sie hat dir so viel bedeutet.“

In Erinnerung an Grandma Tilly nickte ich lächelnd. Dylan, mein Laborpartner in Crime, und Stella kannten inzwischen genug Grandma-Tilly-Geschichten, um zu verstehen, warum ich nicht auf der Party erscheinen konnte.

Schon in dem Moment, als ich die Nachricht von ihrem Tod erhalten hatte, wusste ich, dass ich für die Beerdigung alles stehen und liegen lassen würde.

Automatisch wanderte mein Blick auf meine Armbanduhr. „In zehn Minuten geht der Bus zum Bahnhof. Wenn ich den nicht verpassen will, sollte ich jetzt besser los.“

Stella begleitete mich zu unserer Wohnungstür, wo ich sie zum Abschied kurz umarmte. „Viel Spaß auf der Party und sprich mit ihm. Patrick findet dich wirklich toll.“

Sie grinste. Es war dieses schelmische Grinsen, bei dem ihre Augen glitzerten und ihr rechter Mundwinkel weiter nach oben gezogen war als ihr linker. „Versprochen. Und ich bin mir sicher, dass dein Sandkastenfreund inzwischen zu einem heißen Mann geworden ist. Vielleicht haben wir dieses Wochenende beide Glück.“

Lachend drehte ich mich nochmal zu ihr um. „Ich fahre zu einer Beerdigung, nicht zu einem Date“, erinnerte ich sie. Ich meine, er war mein Kindheitsfreund. Die Vorstellung, dass Adam dem Typ Mann entsprechen könnte, den ich in Bars ansprach, war einfach nur … Ich schüttelte den Kopf. Nein, das war verrückt und nur wieder Stellas schrecklich romantisches Wunschdenken.

„Man kann nie wissen. Vielleicht findest du dort endlich den Mann, den du nach der Trennung von Dean endlich wieder in dein Herz lässt“, sagte sie in einem Singsang und schloss die Tür hinter mir.

Auf der zweistündigen Fahrt nach Hause beschäftigte ich mich unweigerlich mit dem Gedanken, wie Adam jetzt wohl aussah und was aus ihm geworden war. War er immer noch derselbe Junge, mit dem ich Camelot gespielt und als böse Zauberin Morgan durch die Gärten gelaufen war?

Vor gut zehn Jahren war seine Familie aus unserem Dörfchen weggezogen und seitdem hatte ich meinen damals besten Freund nicht mehr wiedergesehen. Grandma Tilly war ebenfalls weggezogen, da das Haus für sie viel zu groß gewesen war, und ich hatte sie immer wieder im Altersheim in der Nachbarstadt besucht. Adam hatte ich dabei nie getroffen. Seine Großmutter erzählte Geschichten von ihm und zeigte Fotos. Sie war noch unglaublich fit gewesen, bis sie vor zwei Jahren an Alzheimer erkrankte. Seitdem hatte ich sie nicht mehr besucht. Einerseits wegen der Uni, andererseits, weil ich es nicht hätte ertragen können, sie so hilflos zu sehen. Dabei hatte sie stets als Erste mitangepackt, wenn ein Straßenfest anstand oder irgendwo ein Kuchen benötigt wurde. Backen war ihre Leidenschaft und inzwischen auch zu meiner geworden. Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder backen wollte. Das würde mich immer an Grandma Tilly erinnern und daran, dass sie nicht mehr unter uns weilte. Andererseits, war nicht genau das ihr Erbe? Die Erinnerungen, die ich bewahren sollte?

Mittlerweile fühlte ich mich schuldig, weil ich sie allein gelassen hatte. Ich hätte bei ihr sein müssen. Vielleicht hätte ihr diese Routine geholfen und vielleicht wäre sie dann noch nicht tot.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich daran dachte. Tränen sammelten sich in meinen Augen an, aber ich wollte nicht weinen. Mit schnellem Blinzeln versuchte ich, sie zurückzuhalten. Keine Schwäche zeigen, nicht vor all den Menschen im Zug!

Meine Gedanken wanderten zur bevorstehenden Beerdigung, um mich abzulenken. Adam musste anwesend sein, schließlich handelte es sich um seine Großmutter. Ich war schon unglaublich gespannt auf unser Wiedersehen und ob er wirklich so aussah wie auf den Fotos von Grandma Tilly. Ich erinnerte mich an das Bild von seiner Abschlussfeier, auf dem Adam extrem gut aussah. Würden wir uns genauso verstehen wie damals als Kinder? Über die gleichen Dinge lachen können? War er immer noch mein Freund?

Doch diese Fragen führten ja doch zu nichts. Ich würde wohl geduldig sein müssen. Um die Zeit zu überbrücken, holte ich das Vorlesungsskript zu Energetik aus der Tasche und setzte mich an die Übungsaufgaben, die wir bis nächste Woche erledigen mussten.

Trotzdem gelang es mir nicht, mich darauf zu konzentrieren. Immer wieder wanderten meine Gedanken zu Grandma Tilly. Sie war so stolz, als ich den Studienplatz bekommen hatte, und ich wollte ihn nicht verlieren. In meinen Briefen erzählte ich ihr vom Studentenleben, erhielt aber nie eine Antwort. Ob sie die Briefe überhaupt bekommen hatte? Ich traute mich nie, im Altersheim nachzufragen und stellte mir einfach vor, dass sie die Briefe gelesen hatte und zu beschäftigt war, um zu antworten. Nicht, dass es an ihrer Krankheit lag. Die ganze Zeit hatte ich mir in Gedanken immer wieder versichert, dass ihr Alzheimer schuld daran war. Ich hatte mir nicht vorstellen wollen, dass sie mich nach und nach vergaß und gar nicht wusste, von wem diese Briefe kamen.

Als der Zug in mein Heimatdorf einfuhr, wartete meine Familie schon auf mich. Da wir spät dran waren, machten wir uns gleich auf den Weg zur Kirche. Wir waren die Letzten, die nur kurz vor dem Pfarrer auf ihre Plätze eilten.

Je mehr der Pfarrer von Grandma Tilly erzählte, desto beklemmender fühlte sich der Druck auf meiner Brust an. Immer wieder schluckte ich, aber als der Pfarrer über Tillys Backnachmittage sprach, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, gegen die ich schon so lange angekämpft hatte. Wie eine Leinwand legte sich der Tränenschleier über meine Augen und ich sah einen dieser Nachmittage vor mir. Sie war auf einen Geburtstag eingeladen und wollte einen Kuchen als Geschenk mitbringen. Damals hatte ich zum ersten Mal mit Fondant und Buttercreme gearbeitet, aber mit Grandma Tilly war das keine schwierige Angelegenheit. Sie hatte mir alles gezeigt, hatte meine Hand geführt. Es kam mir vor, als wäre das erst wenige Tage her, dabei waren seitdem vier Jahre und viele weitere Tortendekorationen vergangen. Meine Hand zitterte, als ich mir die Tränen von den Wangen wischte. Ohne sie waren mir nie mehr so tolle Torten gelungen. Ohne ihre Hilfe war die Buttercreme zu dick geworden und die Fondantblumen hatten eher wie ein zerstörter Blumenstrauß ausgesehen. Trotzdem zauberten mir die Erinnerungen auch ein Lächeln auf die Lippen, denn sie waren Teil meines Lebens und darüber würde ich immer froh sein.

Später am Grab erhaschte ich einen freien Blick auf die Familie Moisten und damit auch auf Adam.

Der Eindruck des Abschlussfotos hatte mich nicht getrogen, er sah echt gut aus. Männer in Anzügen fand ich im Allgemeinen sehr attraktiv, aber Adam legte noch eine Schippe drauf. Das Blau seiner Augen schien noch intensiver geworden zu sein, und die dunkelblonden, etwas längeren Haare fielen ihm locker ins Gesicht. Genauso wie seine kleine Schwester sah er sportlich aus, aber nicht zu muskulös.

Allein das Lächeln, das sich trotz der Trauer auf seinem Gesicht abzeichnete, ließ mich an so viele gemeinsame Abenteuer denken. Auch auf mein Gesicht legte sich nun ein Lächeln, weil ich endlich meinen Sandkastenfreund wiedersah.

Nachdem sich die Gesellschaft am Grab langsam aufgelöst hatte, luden die Moistens Bekannte und Nachbarn zu einem kleinen Umtrunk im örtlichen Pub ein. Da viele der älteren Freunde von Grandma Tilly lieber wieder in das Altersheim zurückkehrten, traf sich im Pub nur noch eine Handvoll Leute, obwohl unsere nicht gerade kleine Kirche bis zum Bersten gefüllt gewesen war.

Während meine Eltern sich mit den Moistens unterhielten und meine kleine Schwester mit den anderen Kindern draußen herumtollte, näherte ich mich mit schnell klopfendem Herzen Adam, dessen Blick zwischendurch immer wieder zu mir gewandert war. Schließlich stand ich während der Beerdigung neben meinen Eltern und die hatten sich in den letzten Jahren doch nicht so viel verändert.

„Jenni?“, fragte er trotzdem, als ich vor ihm stehen blieb.

Ich nickte und dann zog er mich in seine Arme.

„Meine Güte, du siehst gut aus“, meinte Adam grinsend und schob mich ein Stückchen von sich. Sofort fühlte es sich für mich wie nach Hause kommen an. Man hörte ihm gar nicht an, dass er in den letzten Jahren nicht in Großbritannien gelebt hatte und auch den warmen Ton, den ich immer aus seiner Stimme herausgehört hatte, hatte er nicht verloren.

Schmunzelnd ließ ich meinen Blick über seinen Körper schweifen. „Du aber auch“, antwortete ich, bevor ich wieder ernst wurde. „Herzliches Beileid.“

Er lächelte mich traurig an. „Hättest du gedacht, dass wir uns so wiedersehen würden?“, fragte er, während wir zu einem kleinen Tisch gingen.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe immer damit gerechnet, dass du bei einem meiner Besuche bei Grandma Tilly auftauchst, aber das ist nie passiert.“ Ich trank einen Schluck meines Pale Ales. Ohne ein Getränk in der Hand wäre sicher viel zu sehr aufgefallen, wie nervös ich war und wie nah mir diese Beerdigung ging. Meine Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte ich die Flasche und als ich auf der Toilette einen kurzen Blick in den Spiegel geworfen hatte, war nicht nur mein Make-up verlaufen, sondern auf meiner trockenen Unterlippe hatte ich auch die Abdrücke meiner Zähne entdecken können.

Adams Mundwinkel sanken nach unten. „Das ging nicht. Seit unserem Umzug habe ich Grandma nur noch zu Weihnachten gesehen. Wir sind oft umgezogen und waren meistens so weit von hier entfernt, dass ich sie nicht mal eben besuchen konnte. Australien liegt nicht gerade um die Ecke. Aber sie hat mir viel von dir erzählt.“

Es war schön zu hören, dass wir durch Grandma Tilly doch irgendwie in Kontakt gestanden hatten. „Und was machst du jetzt?“ Ich überlegte, was Grandma Tilly mir alles erzählt hatte. „Studierst du? In Amerika, Australien, tut mir leid, ich habe irgendwann einfach den Überblick verloren, wo ihr gerade wohnt.“

„Ich bin ausgezogen“, war Adams ruhige Antwort und er zeigte nicht, wie er sich dabei fühlte, aber ich konnte trotzdem an den zusammengepressten Lippen erkennen, dass seine Eltern darüber nicht glücklich gewesen waren. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr es einen irgendwann nervt, wenn man alle paar Jahre umziehen muss und keine richtigen Freundschaften schließen kann. Spätestens nach zwei Jahren wurde Dad erneut versetzt und immer in ein anderes Land. Nach meinem Schulabschluss bin ich zurück nach England gezogen und studiere jetzt Geschichte in Liverpool.“

„Liverpool? Das ist ja cool. Ich studiere Chemie in Manchester.“ Auf mein Gesicht schlich sich ein breites Grinsen.

Adams Augen begannen zu strahlen. „Dann sollten wir uns wieder öfter treffen. Wenn wir schon so nah beieinander wohnen.“

„Vor, nach oder während du bei einem deiner Ausflüge bist?“, mischte sich seine Schwester Felicitas, die wohl den Tanten entkommen war, in unser Gespräch ein und umarmte mich überschwänglich. „Hallo Jenni, schön dich zu sehen.“

„Hallo Felicitas. Ja, lange nicht gesehen.“ Etwas überrumpelt erwiderte ich ihre Umarmung, dabei hätte ich am liebsten sofort einen Termin für ein Treffen mit Adam ausgemacht. „Was denn für Ausflüge?“

„Och.“ Felicitas zog sich einen Stuhl heran und fuhr sich durch ihre langen, dunkelbraunen Haare, als wäre ihre Antwort nur eine Nebensächlichkeit. „Seit Adam studiert, war er schon bei drei Forschungsexpeditionen dabei. Erst vor zwei Tagen ist er von seiner letzten zurückgekehrt.“

Neugierig beobachtete ich meinen Sandkastenfreund, der plötzlich so wirkte, als wären ihm das peinlich, so angestrengt, wie er auf die Tischplatte starrte und seiner Schwester nur gelegentlich einen vernichtenden Blick zuwarf. „Das ist ja unglaublich, Adam. Wie kam es denn dazu?“ Meine Stimme klang schrill. Von Kommilitonen hatte ich erfahren, dass die meisten Studenten für solche Exkursionen frühestens im fünften Semester angefragt wurden.

Statt seiner antwortete wieder seine Schwester. Fast wirkte es so, als würde Adam gar nicht über das Thema sprechen wollen, während Felicitas es unglaublich interessant fand. „Er versteht sich sehr gut mit dem Professor, der die meisten Expeditionen durchführt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wonach sie bei der letzten gesucht haben.“

„Feliz, sei still! Du stellst es spannender dar, als es in Wirklichkeit ist!“ Adam warf seiner kleinen Schwester einen weiteren, aber dieses Mal längeren vernichtenden Blick zu.

„Ich verstehe dich einfach nicht“, entgegnete Felicitas und warf frustriert die Hände in die Luft. „Ihr habt nach Excalibur gesucht. Du selbst warst davor so unglaublich aufgeregt und jetzt verlierst du kein Wort darüber? Was ist dort passiert?“

„Wir haben nichts gefunden. Excalibur und die ganze Artussage ist und bleibt eine Legende“, entgegnete Adam und stand auf.

Sein Gesicht war wutverzerrt und er schob den Stuhl mit besonders viel Kraft zurück unter den Tisch. „Das ist passiert!“

Felicitas und ich blickten uns verwirrt an. „So sieht es also aus, wenn die Kindheitsträume zerstört werden“, murmelte ich und sie nickte nur. Adam tat mir leid. Obwohl ich nie an Sagen und Legenden geglaubt hatte, hatte ich immer interessiert neben ihm gestanden, wenn er ein neues Buch, einen neuen Film oder ein Spielgerät zur Artuslegende vorzuweisen hatte. Adams Obsession hatte mir Spaß gemacht und mein Herz zog sich zusammen, wenn ich daran dachte, dass die Expedition so enttäuschend für ihn gewesen war.

*Leseprobe Ende*

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